Ich bin eine Frau, also bin ich weiblich,
Oder?
Es war ein Morgen, von dem ich an sich nicht viel erwartet hatte. Ereignislos. Etwas halbschläfrig den Kaffee schlürfend. Das Fenster ist geöffnet und ich lausche dem Rauschen der großen Tanne im Garten. Sie steht vermutlich länger dort, als das Haus in dem ich wohne.
Dieses Haus ist 150 Jahre alt und thront auf einem Hügel am Wienerwald. Ich blicke auf die Straßen und Häuser der Vorstadt hinab und in die Ferne auf den Lainzer Tiergarten.
Ich sitze hier mit meinem Kaffee. Und ich spüre zunächst diese Tiefe Dankbarkeit für diesen Ort, der mich gefunden hat im genau passenden Moment. Meine Wohnung ist klein, aber die Geschichte dieses Gebäudes ist groß. Finde ich zumindest.
Im 19. Jahrhundert war dies ein Erholungsheim für Frauen. Sommerfrische, Stadtflucht. Da trifft es mich plötzlich ganz tief in jeder Zelle. Auch für mich ist es genau das. Ein Zufluchtsort. Erholung von Jahren des Rennens. Deswegen haben wir uns so magisch angezogen. Jeder Stein wurde gebaut mit der Intention, einen sicheren und erholsamen Raum für das Weibliche zu schaffen. Für die nährenden und kümmernden Menschen.
Hier muss niemand mehr funktionieren. Hier darf man sein.
Und ich? Ich halte es kaum aus, nicht zu rennen. Als ich das realisiere, füllen Tränen meine Augen. Ich atme tief ein und wieder aus.
Ich halte es kaum aus. Die Stille, die Sicherheit. Ich kreiere mir Probleme. Und Stress. Immer noch.
Habe ich das nicht mittlerweile mal gelernt? Geheilt und transformiert?
Was ich da entdeckt habe war meine falsche Weiblichkeit. Dieses Bild der „Powerfrau“ - und wie ich dieses Wort ablehne!
Diese Frau, die dann stark ist, wenn sie agiert wie ein Mann. Wenn sie möglichst klar und fokussiert ist. Die dann Respekt verdient, wenn sie viel tut und noch mehr aushält.
Die Frau, die niemanden braucht.
Die „Ich mach das schon“ - Frau.
Und ich spüre, wie mein gesamter Körper, mein ganzes System diese Rolle nicht mehr spielen will. Sie ist anstrengend. Sie ist nicht falsch, aber sie ist eben nur ein Teil des Ganzen.
Ich habe sie kreiert, weil ich glaubte, nur so überleben zu können. In einer Welt, die sich schmückt mit Feminismus und Gleichberechtigung. Dabei verschweigt man aber gerne, dass dafür immer noch ein Preis zu zahlen ist. Deine wahre, ursprüngliche Weiblichkeit. Das Wilde, das Unberechenbare. Denn was nicht kontrollierbar ist, könnte ja das Konstrukt zum Einsturz bringen. Folglich darf du natürlich gerne mitspielen, aber eben im Rahmen der Regeln.
Das verletze, unsichere Mädchen?
- unsexy!
Die nährende, kümmernde Mutter?
- unmodern!
Die lustvolle, wilde Frau?
- unschicklich!
Die starke, ruhige Weise?
- unhöflich!
Frau zu sein. Nämlich wirklich FRAUSEIN. Das ist so unglaublich Facettenreich, das kein Mensch der Welt es jemals in Worte fassen könnte. Und jedes einzelne weibliche Wesen besitzt all diese Facetten, alle Archetypen. Aber wir zähmen sie. Wir sperren sie weg. Denn wir fürchten uns vor Urteil, Bewertung und schlussendlich Ausgrenzung.
Vorm Alleinsein.
Biologisch, optisch eine Frau zu sein ist das Eine. Aber die Weiblichkeit ist ein tiefes Mysterium. Eine magische Sphäre. Und sie wohnt auch den Männern inne. Sie wohnt eigentlich Allem inne, was irgendwie lebendig ist.
Ich saß also dort mit meiner Tasse Kaffee. Und das Haus, in dem ich lebe, erinnerte mich daran, dass das Feminine einen Raum verdient. Einen großen, prachtvollen Raum. Inmitten unserer Gesellschaft. Ich will diesen Raum für meine Weiblichkeit. Und wenn man ihn mir nicht gibt, dann werde ich ihn einfach bauen. Stück für Stück.
Indem ich zulasse, was ich über Jahre brav gehütet und in der Ecke hab verstauben lassen.
Die Ur-Frau. Die Mutter, das Mädchen. Die Wilde, die Weise.
Die Liebhaberin, die Freundin, die Kriegerin, die Tochter.
Tränen rennen mir über die Wange. Sie tragen alles Ungelebte in sich und spülen es aus meinem Körper hinaus.
Und ich höre das Rauschen der Tanne, die schon immer hier steht. Ganz sicher sogar. An diesem Platz, wo das Weibliche sich erholen darf. Wo die Frauen Zuflucht finden…
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